Im Dezember letzten Jahres starteten unsere Bildungsreferent*innen Paulina Wojtkowiak und Björn Scherer im Rahmen des Projektes Männlichkeiten 2.1 ein von ihnen konzipiertes, innovatives Bildungsformat: einen (Ver-)Lernraum zu Männlichkeiten. Unser Kollege Joel Wardenga hat die beiden interviewt, um euch einen Einblick in die Arbeit des (Ver-)Lernraumes zu verschaffen.

 

Joel: Worum geht’s bei eurem Angebot „Feministische Perspektiven auf Männlichkeiten. Ein (Ver-)Lernraum“?

In dem Angebot wollen wir uns mit dem Männlichkeiten und Männlichkeitsanforderungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, Betroffenheiten, Positionierungen, Verletzbarkeiten und Privilegien auseinandersetzen. Dabei geht es uns darum, die sexistische Geschlechterordnung zu hinterfragen und im Austausch Ansatzpunkte für individuelle und gesellschaftliche Veränderung hin zu einer geschlechtergerechten Welt zu suchen.

Joel: Jetzt arbeitet ihr ja mit einem Wortspiel: euer Angebot soll zugleich Raum zum Lernen und Verlernen sein. Was genau soll den gelernt, und was verlernt werden?

Naja, beides hängt im Blick auf Vorstellungen von Männlichkeit eng zusammen: Anforderungen wie Unabhängigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz und Stärke strukturieren häufig männliches Verhalten. Sie ermöglichen die machtvolle Position von Männern innerhalb des Patriarchats und führen häufig zu selbst- und fremdschädigenden Verhaltensweisen. Um das zu erkennen und zu verändern müssen Menschen ganz viel lernen, gerade aber auch die Veränderung eigener, in dem Prozess als problematisch erkannter Anteile bedeutet auch viel Verlernen.

Joel: Wer nimmt denn Teil?

Die Gruppe besteht aus 14 Personen, all gender, unterschiedlichen Alters und verschiedener Berufshintergründe. Das spannende daran ist, dass wir so auch ganz unterschiedliche Antworten auf die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen bekommen. Fragen wie: Was sind eigentlich Männlichkeiten und Männlichkeitsanforderungen? Welche Rolle spielen sie für die alltägliche Reproduktion von Sexismus und den geschlechtlichen Ungleichheitsverhältnissen? Was sind toxische Männlichkeiten? Gibt es gelingende Formen von Männlichkeiten, wenn ja, wie sehen diese aus? Wie können (queer-)feministische Kämpfe solidarisch geführt werden?

Joel: Wie arbeitet ihr mit der Gruppe? Welche Methoden setzt ihr ein?

Wir arbeiten mit einer Vielfalt von Methoden, die zum einen der Gruppe dabei helfen soll, miteinander ins Gespräch zu kommen – gerade über Unterschiede und auch Verletzungen hinweg. Zum anderen geht es aber auch oft gerade für die männlichen Teilnehmer darum, in Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu kommen, die bestimmte Erfahrungen in uns lösen und diese konstruktiv mitzuteilen. Dafür bedienen wir uns bei ganz verschiedenen Ansätzen, wie gewaltfreier Kommunikation, Köper- und Bewegungsarbeit, Methoden aus der politischen Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit, Elemente vom Theater der Unterdrückten, Biographiearbeit, Gruppendiskussionen, Einzelarbeit, Textarbeit etc.

Joel: Wo steht ihr da jetzt im Prozess?

Wir haben uns jetzt fünf mal getroffen und treffen uns bis Ende März noch drei mal. Zu Beginn ging es erst einmal darum, sich kennenzulernen sowie einen vertrauensvollen und möglichst sicheren Rahmen zu schaffen, der Raum für individuelles Lernen, Austausch und Verletzbarkeiten ermöglicht. Als Gegenpol zum individualistischen und auf Konkurrenz ausgerichteten Bildungsideal ist es uns auch wichtig, Achtsamkeit sowohl für sich selbst, als auch für die anderen Teilnehmenden als Kernelement im (Ver)Lernraum zu etablieren. Gleichzeitig sehen wir dies auch als Entlastung von gesellschaftlich etablierten Männlichkeitsanforderungen, die von Dominanz und Wettbewerb geprägt sind. Mittlerweile sind wir neben Diskussionsrunden, theoretischen Einheiten, Sozialisations- und Biographiearbeit sowie der Auseinandersetzung mit schmerzhaften und gewaltvollen Anteilen von Männlichkeiten bei den Handlungsoptionen angekommen und befassen uns mit Perspektiven einer geschlechtergerechten Gesellschaft auf sowohl individueller als auch struktureller Ebene.

Joel: Wie kamt ihr auf die Idee?

Alle Menschen sind vom Patriarchat betroffen, wenngleich auch in unterschiedlichen Anteilen und Ausmaßen. Wir sind davon überzeugt, dass die unterschiedlichen Positionierungen, Privilegien, Verletzbarkeiten und (Ohn-)Machtverhältnisse dementsprechend auch gemeinsam angegangen werden müssen. Unseren (Ver)Lernraum sehen wir als einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft an, die ja auch nicht geschlechtshomogen ist. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit den jeweiligen schmerzhaften Anteilen des Patriarchats ist es uns möglich, gemeinsam in Verbindung zu gehen, voneinander zu lernen, einander zu verstehen und schließlich solidarisch Seite an Seite zu stehen, anstatt Trennungen aufrecht zu erhalten, die wir eigentlich abbauen möchten. Nichtsdestotrotz sehen wir geschlechtshomogene Räume und Safer Spaces als sinnvoll und notwendig an, solange Menschen von der Gewalt des Patriarchats nach wie vor betroffen sind. Bei unserer Arbeit und der Auseinandersetzung zu Männlichkeiten haben wir jedoch eher positive Erfahrungen mit All-Gender Formaten gemacht.

Joel: Wo seht ihr Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Männer*gruppenarbeit bzw. warum habt ihr euch nicht für die Arbeit in einer geschlechtshomogenen Gruppe entschieden?

Zum einen stellen wir uns die Frage, für wen solche Angebote gedacht sind – wer fühlt sich angesprochen, wer wird ausgeschlossen? Fühlen sich Trans*-Männer oder männlich sozialisierte nicht-binäre Personen von Angeboten, die sich an Männer richten angesprochen – sind sie mitgemeint? Reproduzieren wir mit geschlechtshomogenen Angeboten nicht eine binäre Vorstellung von geschlechtlicher Identität?

Zum anderen geht es um die Frage, welche Perspektiven in geschlechtshomogenen Räumen vertreten sind und welche für eine Reflexion von Sexismus und der Rolle von Männlichkeiten dabei fehlen?

Unsere Erfahrungen mit der Arbeit zu Männlichkeiten in geschlechtshomogenen Männergruppen bleiben dabei widersprüchlich. Wir finden, dass es in bestimmten Situationen auch Sinn machen kann, dass sich Cis-Männer unter sich treffen, um punktuell bestimmte Themen zu besprechen, um zu lernen, sich emotional zu öffnen und mitzuteilen, etc.  Dabei sollten diese Räume eher punktuell stattfinden, als Ergänzung zu gemeinsamen Räumen mit anderen Geschlechtern.

Joel: Was sind eure Ziele für den (Ver-)Lernraum?

Björn: Ich möchte anderen Lust auf die Lebensaufgabe machen, ihre eigenen Privilegien zu checken, d.h. die Konsequenzen der eigenen Position in der Gesellschaft zu reflektieren und selbst dafür Verantwortung zu übernehmen, was mein Handeln für andere bedeutet.

Paulina: Mir ist es wichtig, gewaltvolles an Männlichkeit abzubauen und destruktive Verhaltensweisen nicht zu entlasten, sondern Männer* zur Arbeit an sich selbst herauszufordern. Dafür ist es wichtig, Männern* auch die Mittel dazu zu geben, mit den eigenen problematischen Anteilen konstruktiv zu arbeiten. Ich denke auch, dass es für wirklich tiefgreifende Lernprozesse Zeit braucht, weswegen uns die Arbeit mit einer Gruppe über einen längeren Zeitraum so wichtig ist.

Joel: Wird es eine Dokumentation eurer Ergebnisse für Interessierte geben?

Ja, tatsächlich. Gerade weil es an gemischtgeschlechtlichen, diversen Ansätzen, zu Männlichkeiten in der Gruppe zu arbeiten bisher fehlt, möchten wir unser Konzept des (Ver-)Lernraums und die Erfahrungen, die wir damit gemacht haben für andere dokumentieren. Zurzeit steht noch die Umsetzung im Fokus, aber nach dem Abschluss dieses ersten (Ver-)Lernraums zu Männlichkeiten wollen wir daraus eine kleine Broschüre erarbeiten, die anderen Ansätze für die Umsetzung ähnlicher Bildungsangebote an die Hand gibt.

Joel: Da freuen uns wir schon drauf. Vielen Dank euch beiden für das Gespräch.

 

Kontakt zum Team von Männlichkeiten 2.1:

info@nullmaennlichkeiten-bw.de

paulina.wojtkowiak@nullmaennlichkeiten-bw.de

bjoern.scherer@nullmaennlichkeiten-bw.de

Eine Dokumentation sowie Broschüre zum „(Ver-)Lernraum – Feministische Perspektiven auf Männlichkeiten“ wird im Laufe des Jahres auf der Seite der LAG Jungen*- & Männer*arbeit sowie des Projektes Männlichkeiten 2.1 veröffentlicht werden.

Weitere Informationen zum Projekt und zum (Ver-)Lernraum:

www.maennlichkeiten-bw.de