Seit vielen Jahren bietet die LAGJ*M* BW regelmäßig die Fortbildung zur „Fachkraft für Rückfallprävention von sexuell übergriffigen Jugendlichen“ an. Kürzlich fand das zweite Modul des aktuellen Durchgangs statt und davor hat unser Bildungsreferent Joel Wardenga einen Teilnehmer über seine Erfahrungen in der Fortbildung interviewt: Heiko Jesser, Sozialpädagoge aus Reutlingen und Mitglied im erweiterten Vorstand der LAGJ*M* BW.

 

Porträtfotografie von Heiko Jesser

Joel: Hallo Heiko! Schön, dass du uns einen Einblick in deine Erfahrungen als Teilnehmer bei der Fortbildung gibst. Kannst du zum Einstieg erzählen, wer du bist und wo du arbeitest?

Heiko: Hallo Joel, sehr gerne. Ich bin seit langem als Sozialpädagoge in verschiedenen Arbeitsbereichen und Funktionen tätig: als Schulsozialarbeiter und im ambulanten Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie habe ich verschiedene geschlechtsspezifische und erlebnispädagogische Angebote konzipiert und umgesetzt. Dabei ging es mir vor allem darum, die Beziehung zwischen Jungen* und ihren männlichen Bezugspersonen zu stärken. Seit ein paar Jahren arbeite ich beim Beratungsfachdienst des Jugendhilfeträgers pro juventa in Reutlingen. Dort begleite ich Pflegekinder bei ihrem Aufwachsen in einer Sozialpädagogischen Pflegestelle und berate deren Familien.

Joel: Worum geht es in der Fortbildung und wie läuft sie ab?

Heiko: Wir hatten Ende letzten Jahres das erste von drei dreitägigen Modulen, in denen fünfzehn Fachkräfte aller Geschlechter aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern im sozialen Bereich qualifiziert werden, mit sexuell übergriffigen Jugendlichen so zu arbeiten, dass es nicht wieder zu einem Rückfall kommt. Zum einen geht es da natürlich um die eigene Haltung gegenüber den Jugendlichen, die sexuell übergriffig gewordenen sind, zum anderen auch um ganz konkrete Methoden für die Beratungsarbeit mit jungen Menschen und die in der Arbeit immer wiederkehrenden Muster.

Joel: Wie würdest du diese Haltung, die du eben angesprochen hast, beschreiben?

Heiko: Ich denke hier ist es ganz wichtig, immer zu betonen, dass der Opferschutz Priorität hat und bei dieser Arbeit über allem steht. Gleichzeitig ist die Arbeit mit Tätern oft nicht so populär, obwohl sie aus meiner Sicht gerade durch den Fokus auf die Rückfallprävention einen erhöhten Opferschutz bieten kann. Gerade bei jungen Menschen, die übergriffig waren, sind die Chancen umso besser, je früher wir mit ihnen arbeiten. Wir machen ihnen ein Angebot, das ihnen einen anderen Blick auf ihr Verhalten ermöglicht und Alternativen anbietet. Die Praxis bestätigt das immer wieder. Das sieht man daran, dass die meisten dieser Beratungsprozesse eben nicht abgebrochen werden, weil die jungen Menschen merken, da ist was für sie dabei, das sie voranbringt.

Joel: Hast du ein Beispiel dafür, wie das in der Praxis aussehen kann?

Heiko: Ja, was die Haltung betrifft heißt das erstmal: die Tat wird in der Arbeit immer wieder thematisiert, steht im Zentrum und wird gerade nicht bagatellisiert. Damit ist Schuldabwehr, die jeden Lernprozess untergraben würde, nicht möglich. Das können die Jungen* aber auch gut aushalten, gerade wenn diese Thematisierung der Tat mit kreativen Zugängen verknüpft ist. Die Jugendlichen können dann selbst besser nachvollziehen, wie es zu der Situation und ihrem grenzverletzenden Verhalten kam. Entscheidend ist, sich selbst besser kennenzulernen, zu spüren, wenn es stressig wird, sich selbst ein „Stopp“ zu setzen oder eine Pause zu verschaffen, um wieder „Herr“ seiner Gedanken und Gefühle zu sein.

Zum Beispiel gibt es eine Methode, die an die Gedankenwelt der jungen Menschen anknüpft. Sie bekommen eine Waage. Auf dieser können sie Gewichte verteilen – auf der einen Seite die Vor- und auf der anderen Seite die Nachteile der übergriffigen Handlung. Ein Ziel ist die Erkenntnis, dass auch für sie die Nachteile ihres sexuell übergriffigen Verhaltens schwerer wiegen als die Vorteile.

Eine andere Methode spricht stärker die Gefühlswelt der jungen Menschen an. Sie erfolgt durch die Annäherung an das Geschehene über die Metapher eines Verkehrsunfalls. Fragen dazu könnten sein: Wie warst du denn unterwegs, mit Auto, Fahrrad, zu Fuß? Wie war die Verkehrslage, das Wetter, etc…?  Wie schnell warst du unterwegs? Gab es Warnsignale? Anschließend können spielerisch neue Szenarien entwickelt werden, die zu einer unfallfreien Fahrt geführt hätten: z.B. Geschwindigkeit reduzieren, beim Abbiegen umschauen,…

Kurzum: der ganze Prozess der Rückfallprävention bei jugendlichen Menschen kreist immer wieder um die übergriffige Handlung und wirft ein Licht aus verschiedenen Perspektiven darauf – und schafft so Spielraum für anderes Handeln.

Gruppenfoto der Fortbildung zur Rückfallprävention 2024/2025

Gruppenfoto der Fortbildung zur Rückfallprävention 2024/2025

Joel: Würdest du sagen, dass dich die Fortbildung in deiner Arbeit schon vorangebracht hat?

Heiko: Ich kann zu der Fortbildung schon nach dem ersten Block sagen, dass ich auch nach vielen Jahren Berufserfahrung davon viel für meine Arbeit mitnehme. Dabei hilft besonders die Zusammenarbeit und der Austausch mit den anderen Teilnehmer*innen.  Die Fortbildung hilft mir, eine sichere Beraterrolle einnehmen zu können, indem ich mich mit mir selbst auseinandergesetzt habe – auch mit meinen eigenen schwierigen Anteilen. Dies ermöglicht mir, eine Vorsicht zu entwickeln, mich gerade nicht zum Komplizen zu machen und trotzdem eine ganz bewusste Haltung von Klarheit und Einfühlungsvermögen zeigen zu können – schließlich sind das Themen von uns allen.

Joel: Vielen Dank für den Einblick und alles Gute für die restlichen Module der Fortbildung und deine Arbeit!

Heiko: Danke auch und sehr gerne.

Die nächste Fortbildung zur „Fachkraft für Rückfallprävention von sexualisiert übergriffigen Jugendlichen“ beginnt im November 2025. 

Alle Informationen und die Möglichkeit, sich anzumelden, finden Sie hier:

https://www.lag-jungenarbeit.de/fobi-gegen-sexuelle-gewalt/

Kontakt: fortbildung@nulllag-jungenarbeit.de