Am 22. April 2015 öffnete das Haus der Bildung in Schwäbisch Hall seine Tore für mehr als 80 Teilnehmende des Fachtags „Jungenarbeit und Schule. So kann es gehen“. Die Männer des AK Jungen in Hall hatten den Fachtag logistisch exzellent vorbereitet und in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit Baden-Württemberg umgesetzt. Die Gesamtdokumentation folgt in Kürze. Einen ersten Eindruck mit Fotogalerie erhalten sie im Folgenden:
In fachlich fundierten Vorträgen verwiesen die Referenten Michael Drogand-Stud und Uli Boldt auf die vielfältigen Lebenslagen von Jungen, die mitunter quer zu gesellschaftlichen Anforderungen stehen. Diese sind – entgegen besserer Erkenntnisse der Genderforschung – noch immer geprägt von traditionellen Männlichkeitskonstruktionen, die auch in der Schule oft unbewusst inszeniert werden. „Jungen verhalten sich entsprechend den ihnen gegenüber gemachten Zuschreibungen!“ stellte Uli Boldt in seinem Vortrag daher treffend fest und plädierte dafür, genau hinzuhören, um Signale der Jungen adäquat deuten zu können. So wünschen sich Jungen laut einer Befragung an der Schule des Referenten mehr Bewegung, eine stärkere Betonung der Naturwissenschaften, ein schöneres Schulgebäude, mehr Ruhe im Unterricht und mehr männliche Ansprechpartner. Ältere Jungen legen Wert auf Ko-Edukation, wollen nur in speziellen Bereichen (z.B. Sexualerziehung und Sport) unter sich sein, finden es egal, ob sie von Lehrern oder Lehrerinnen unterrichtet werden. Nicht der Mann per se ist die bessere Lehrkraft für Jungen; es kommt auch auf die Weise des Unterrichtens an und auf die Art der Männlichkeit, die der Lehrer verkörpert. Reflektierte Pädagogen, die über den curricularen Unterricht hinaus bereit sind, mit Jungen zu arbeiten, werden gebraucht. Jungenkonferenzen, die der Referent vorstellte, sind nur eine praktische Möglichkeit, diesen Anspruch umzusetzen.
Nach historischen Erfolgen der Geschlechterdifferenzierung nehmen aktuelle stereotype Zuschreibungen, wie Jungen und Mädchen zu sein haben, verstärkt von bestimmten Wirtschaftszweigen, etwa der Spielzeug- und Bekleidungsindustrie, wieder zu, kritisierten die Referenten. Geschlechterbezogenes Arbeiten hat daher die Aufgabe, Stereotype zu dekonstruieren, eine Vielfalt von Männlichkeiten erlebbar zu machen und diese zu erlauben. Auch das ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe von Lehrenden, die ohne eine reflektierte geschlechterbewusste Haltung kaum umsetzbar ist.
Michael Drogand-Strud schlug in seinem Vortrag einen weiten und kenntnisreichen Bogen von den Ursprüngen der Jungenarbeit, bis hin zu aktuellen Entwicklungen. Er verwies auf Erfolge der aktuellen Genderforschung und bemerkte kritisch, dass diese in der Alltagspraxis oft konterkariert werden. Jungen haben es heute noch immer schwer, sich entgegen tradierter Männlichkeitsbilder zu verhalten.
Er gab zu bedenken, dass das, was bei Jungen als störend und negativ wahrgenommen wird, durchaus gesundes Verhalten sein kann, welches Phänomene einer komplexeren und problematischen Gesellschaft spiegelt. “Nicht die Jungen, sondern unsere gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnisse sind problematisch“, so ein Statement des Tages. Drogand-Strud sieht Jungen als Experten ihrer eigenen Entwicklung. Pädagog*innen dürfen diese Entwicklung begleiten und fördern. Aus diesem partizipativen und emanzipatorischen Anspruch ergeben sich neue pädagogische Handlungsansätze, wenn zusätzlich die realen Lebenslagen von Jungen erkannt und einbezogen werden. Dies wäre auch eine Art Inklusionsansatz, der Innovationen ermöglicht.
Der Nachmittag des Fachtages stand ganz im Zeichen der Praxis. In 5 Workshops wurde weniger vorgetragen, dafür spielerisch und mit vielen Beispielen geübt (vgl. auch Fotos), um zu verstehen, wie Jungen ticken und sich auf ihre Lebenswirklichkeiten einzustimmen. Alternative Methoden funktionieren in vielen Unterrichtsfächern und fächerübergreifend ebenso. Allerdings ist jede Methodik nur ein Hilfsmittel, die lehrende Person steht im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens. Ihre Haltung und Einstellung zu den Schülern ist der Schlüssel zum Erfolg. In einem Abschluss-Statement brachte es Florian Hahn, Jungenarbeiter aus Freiburg, in einem jungenpädagogischen Credo auf den Punkt: Wir können mit einem vollgepackten Methodenkoffer arbeiten und doch scheitern. Denn das Wesentliche der geschlechterbewussten Arbeit sind nicht Methoden, sondern die eigene geschlechterreflektierte Haltung Jungen gegenüber.
Die Dokumentation des Fachtages (Texte, PPPs und Fotos) steht in wenigen Wochen auf dieser Webseite zum Download bereit.
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