Interview über das Projekt „Dranble!ben – Gemeinsamkeit leben!“

Von Joel Wardenga

Seit dem Sommer 2025 arbeitet die LAGJ*M* BW unterstützt durch Landesmittel an einem neuen Projekt: „Dran bleiben!“ – ein Projekt, das Einsamkeit bei Jungen* und jungen Männern* in den Mittelpunkt stellt. Koordiniert wird das Projekt von unserem Kollegen Thobias Pulimoottil. Unser Bildungsreferent Joel Wardenga hat mit ihm über die Themen und geplanten Angebote des Projektes gesprochen.

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Joel: Lieber Thobi, kannst du dich kurz vorstellen?

Thobias: Hey! Ich bin Thobias, arbeite als Bildungs- und Projektreferent bei der LAG Jungen*- und Männer*arbeit Baden-Württemberg und leite dort unter anderem das Projekt Dranbleiben!“. Davor war ich mehrere Jahre als Integrationsbeauftragter der Stadt Ettlingen im Landkreis Karlsruhe tätig, wo ich unter anderem das Integrationsbüro und eine Bildungsstätte der Begegnungen geleitet habe.

Ich bin ausgebildeter Sozialforscher und Sozialpädagoge und interessiere mich sehr für verschiedene Bereiche der Sozialen Arbeit und Pädagogik – insbesondere für kritische Rassismus- und Diskriminierungsarbeit, Integrations- und Geflüchtetenarbeit sowie Empowerment, zum Beispiel für Menschen mit Migrationsbiografie und/oder Fluchterfahrung.

Joel: Wie geht es dir gerade?

Thobias: Ich bin voller Tatendrang und neugierig, wie das Projekt „Dranbleiben!“ ankommen wird.

Joel: Na dann los, erzähl doch mal, worum es bei dem Projekt geht!

Thobias: Klar! „Dranbleiben!“ beschäftigt sich mit Einsamkeit bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – mit einem besonderen Fokus auf Jungen* und junge Männer*. Wir wollen zeigen, dass Einsamkeit kein Randthema ist, sondern etwas, das viele betrifft – auch und gerade junge Männer*, die es oft nicht zeigen oder zugeben. Kurzum, im Projekt geht es darum, Fachkräfte zu sensibilisieren, Wissen zu vermitteln und konkrete Handlungsstrategien zu entwickeln. Gleichzeitig wollen wir die Themen im Kontext von Einsamkeit über Social-Media, Videos und Workshops in die Öffentlichkeit bringen. Es geht also u.a. um Aufklärung, Sichtbarkeit, Prävention und Empowerment. – Denn auch in Gemeinsamkeit steckt „Einsamkeit.“

Thobias Pulimoottil ist Sozialforscher und Sozialpädagoge und koordiniert bei der LAGJM BW das Projekt „Dran bleiben!“ als Bildungs- und Projektreferent.

„Einsamkeit ist kein persönliches Versagen, sondern das Signal: Ich brauche Verbindung!“

Joel: Was sind denn Gründe für die gestiegene Einsamkeit gerade unter jungen Menschen?

Thobias: Wichtige Frage! Da kommen viele Faktoren zusammen, etwa Digitalisierung, Leistungsdruck, soziale Medien, gesellschaftliche Unsicherheiten und natürlich die Nachwirkungen der Pandemie. Viele junge Menschen erleben weniger echte, verlässliche Bindungen, dafür aber mehr Vergleich, mehr Druck, mehr Unsicherheit. Bei Jungen* kommt hinzu, dass emotionale Offenheit oft noch immer als Schwäche gilt. Das erschwert es, über Einsamkeit oder Verletzlichkeit zu sprechen. Einsamkeit wird dann häufig verdrängt oder kompensiert – etwa durch Rückzug, Aggression, Schulabsentismus oder exzessiven Medienkonsum. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Einsamkeit ist wie eine (un)sichtbare Droge, die wir alle in gewisser Weise konsumieren – oder von der wir konsumiert werden.

Joel: Was sind deines Erachtens geschlechtsspezifische, männliche und weibliche Herausforderungen beim „Dranbleiben“?

Thobias: Bei Jungen* und jungen Männern* ist die größte Hürde oft, Gefühle zuzulassen und Hilfe anzunehmen. Viele sind sozialisiert, stark zu sein, keine Schwäche zu zeigen. Das kann dazu führen, dass sie sich innerlich immer mehr isolieren.

Bei Mädchen* und jungen Frauen* zeigt sich Einsamkeit oft anders – eher in Selbstzweifeln oder Überanpassung. Beiden gemeinsam ist, dass Einsamkeit große Scham auslösen kann. Deshalb ist es so wichtig, geschlechtersensibel zu arbeiten. Hierbei ist es wichtig zu erkennen, dass Einsamkeit unterschiedliche Ausdrucksformen und Bewältigungsstrategien hat.

Joel: Welche Wege siehst du, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen und sie dabei zu begleiten, sich wieder connected, verbunden zu fühlen?

Thobias: Der Kern ist Beziehung. Junge Menschen brauchen Erwachsene, die echt, ansprechbar und nicht wertend sind. Niedrigschwellige Ansprache funktioniert gut über Social-Media, kurze Clips, Streaming und authentische Sprache. Es geht darum, Brücken zu bauen zwischen digitalen Lebenswelten und realen Begegnungsräumen. In unseren Fortbildungen, Workshops und Medienangeboten wollen wir genau das fördern – Wege zeigen, wie Nähe, Zugehörigkeit und Gemeinschaft wieder erlebbar werden.

Joel: Was bedeutet dir das Thema persönlich? Wie ist dein Umgang mit Einsamkeitserfahrungen?

Thobias: Ich kenne das Gefühl der Einsamkeit nur zu gut – wie viele andere auch. Ich hatte meine Heimatstadt Karlsruhe verlassen, um in Berlin zu studieren, wo ich anfangs niemanden kannte. Dieses Gefühl, woanders neu anzufangen und niemanden zu kennen, macht einsam. Ähnlich ist es auch in digitalen Welten und Netzwerken, in denen wir Tausende von „Freunden“ haben, aber nur zwei bis drei davon wirklich echte Freunde im realen Leben sind.

Einsamkeit und Isolation betreffen manche Menschen auch mehrdimensional – etwa, wenn Herkunft, Religion, Hautfarbe, soziale Schicht oder Zugehörigkeit eine entscheidende Rolle spielen. Ich denke oft, dass Einsamkeit jeden Menschen in jeder Lebenslage treffen kann – unabhängig davon, ob wir von vielen Menschen umgeben sind oder in einer Partnerschaft leben. Gerade in Zeiten des Übergangs oder Wandels ist Einsamkeit etwas sehr Menschliches.

Ich habe gelernt, dass Einsamkeit kein persönliches Versagen ist, sondern ein Signal: Ich brauche Verbindung. Und es braucht Mut und Reflexion, dieses Gefühl zuzulassen.
Das Thema ist mir sehr persönlich, weil ich glaube, dass Verbindung und Gemeinschaft zentrale Ressourcen für mentale Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.

Joel: Und wann fühlst du dich verbunden, connected, in touch?

Thobias: Achtung, deep! (lacht) – Wenn Bekanntschaft, Freundschaft, Beziehung und Familie keine Einbahnstraßen sind. Wenn ich mich gehört und gesehen fühle – auch ohne alles beim Namen nennen zu müssen. Wenn wir als Menschen echt und authentisch sein können, ohne Masken zu tragen – weder für andere noch als Selbstschutz. Auch kreative Arbeit, Musik, gutes Essen oder gemeinsames Lachen geben mir das Gefühl von Verbindung. Und natürlich, wenn ich sehe, dass unsere facettenreiche Arbeit bei der LAGJ*M*BW Menschen bewegt und inspiriert.

Joel: Was ist dir wichtig zu vermitteln und mitzudenken beim Projekt?

Thobias: Mir ist wichtig, dass Einsamkeit enttabuisiert wird – besonders für Jungen* und Männer*. Wir müssen Räume und Begegnungen schaffen, in denen es okay ist, verletzlich zu sein, sich Unterstützung zu holen oder einfach über Gefühle zu sprechen.
Prävention muss früh beginnen – im Kindergarten, in Schulen, in der Jugendarbeit und in den eigenen Familien selbst. Und: Geschlechterbewusst heißt nicht, Klischees zu bestätigen, sondern Strukturen zu hinterfragen, die emotionale Offenheit, Toleranz und echte Verbindung verhindern.

Joel: Was können Fachkräfte vom Projekt erwarten, an wen richtet es sich und warum sollten Fachkräfte in der Arbeit mit Jungen* es auf keinen Fall verpassen?

Thobias: Fun Fact: Auch Fachkräfte können sich in ihrer Arbeit mit Klient*innen einsam fühlen. Sie sind oft mit Themen der Einsamkeit konfrontiert. Das Projekt „Dranbleiben!“ bietet praxisnahe, reflektierte und interaktive Fortbildungen, Workshops und Austauschformate für Fachkräfte. Hier erhalten sie Werkzeuge, um Einsamkeit bei Jungen* zu erkennen, anzusprechen und präventiv zu handeln. Außerdem entstehen Medien und Materialien, die sie in ihrer Arbeit nutzen können. Kurz gesagt: Es geht darum, Jungen* und junge Männer* besser zu verstehen, ohne sie zu stigmatisieren und sie darin zu stärken, emotionale Verbundenheit und Gemeinschaft als Stärke zu erleben.

Joel: Es hat mich sehr gefreut, mit dir zu sprechen – ich freue mich sehr auf die Angebote von „Dranbleiben!“ und über die Zusammenarbeit mit dir. Eine letzte Frage: hast du heute noch etwas Schönes vor?

Thobias: (lacht) Dito, Joel – vielen Dank für das schöne Interview! Tatsächlich möchte ich heute nur noch mit meiner Freundin entspannen – Gassi gehen mit unserem Hund, kochen, reden und über unsere Blödheit lachen. Das ist für mich wie Salbe der Gemeinsamkeit und Verbindung auf den Wunden der Einsamkeit in unserer schnelllebigen Welt.

Kontakt zum Projekt:

thobias.pulimoottil@lag-jungenarbeit.de

Weitere Informationen zum Projekt:

Dranble!ben | LAGJ*M* BW