Am 30. Juni 2025 veranstaltet die LAGJ*M* BW gemeinsam der Stadt Freiburg einen Fachtag zum Thema „Jungen* in Krisen(-zeiten) – Impulse für die Jungen*arbeit“. Für den Fachvortrag und einen (von vielen) Workshop zum Thema „Pädagogischer Umgang mit Jungen* in Krisenzeiten. Methoden zur Bearbeitung von männlichem* Widerstand in der Jugendbildung“ konnten wir Fabian Ceska von Detox Identity gewinnen. Unser Bildungsreferent Joel Wardenga hatte im Vorfeld die Gelegenheit mit ihm über die Themen zu sprechen und hier dokumentieren wir das Interview.
Hallo Fabi. Ich freue mich, dass du dir die Zeit für ein Gespräch nimmst!
Gerne und danke für die Einladung, Joel.
Fangen wir gleich mal an: Wie geht es dir eigentlich heute?
Mir geht es gerade sehr gut. Ich war die letzten Wochen viel reisen, habe einen regelrechten Workshopmarathon hinter mir und bin da mit unterschiedlichen Leuten in Kontakt gekommen. Von Schüler*innen bis hin zu Geschäftsführung und ich liebe diese Spannweite. Ich liebe, dass die Themen ähnlich sind, aber die Art und Weise, wie sie zu bearbeiten sind, sehr unterschiedlich.
Aber ich muss auch eingestehen, dass mich das schon auch ermüdet. Heute bin ich zum Glück im Homeoffice und kann daher ein wenig Kraft tanken.
Du arbeitest für Detox Identity. Was genau macht ihr?
Wir engagieren uns gegen strukturelle Diskriminierung, mit Fokus auf kritische Männlichkeitsarbeit. Unsere Zielgruppen reichen von straffällig gewordenen Jugendlichen bis hin zu Führungskräften. Es geht darum, Männlichkeitsbilder zu reflektieren und Veränderungen anzustoßen.

Das Problem mit Männlichkeit: Grenzüberschreitung & Externalisierung
Wie kam es dazu?
Wir merken, dass das Thema von der Prävention physischer Gewalt bis hin zu toxischer Betriebskultur überall zu Problemen führt. Und zwar nicht weil die Männer irgendwie scheiße oder alle toxisch sind, sondern weil männliche Sozialisation oftmals in Konkurrenz erlernt wird und auch durch Durchsetzungsfähigkeit und Dominanz geprägt ist.
Das hat schädliche Folgen für die Personen, die sie selbst ausführen – zum Beispiel wenn Männer verlernt haben, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen. Das führt oft zu Burnouts oder eben auch zum Überschreiten körperlicher Grenzen bei vielen Männern. Nicht zuletzt hat das auch meist sehr negative Konsequenzen für ihr Umfeld – oft Frauen und queeren Personen – denn Männer, die gelernt haben oder verlernt haben, eigenen Grenzen wahrzunehmen, haben auch oft verlernt, die Grenzen von anderen wahrzunehmen.
Wie geht ihr an diese Themen mit den Männern heran?
Wir wollen Männern nicht mit dem moralischen Fingerzeig begegnen, sondern ihnen ermöglichen, Empathie für sich selbst zu erfahren. Ausgangspunkt ist somit ein wertschätzender Zugang zu den Männern. Gleichzeitig müssen diese ernsthaft Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Es geht darum, sie als Ganzes ernst zu nehmen, das heißt sie sowohl in ihren Verletzungen, als auch in ihrem kritischen Verhalten. Diese Beidseitigkeit schaffen wir über unterschiedliche Methoden, aber vor allem durch sehr viel Humor.
Ihr macht das mit straffällig gewordenen Jugendlichen und Managern gleichermaßen. Ist das sehr unterschiedlich, was für Erfahrungen ihr da macht?
Da geht es mir ein bisschen wie bei Winnie Poo, als er gefragt wird, ob er Honig oder Kondensmilch zu seinem Brot haben will: ich würde sagen „Beides“. Es ist das Gleiche und doch etwas ganz anderes. Ich war kürzlich an einem Berufskolleg mit einer wirklich wenig privilegierten Gruppe. Das waren junge Männer, die total in ihren Internet-Bubbles waren und sehr harte, misogyne Inhalte nachgeplappert haben. Im ersten Moment war ich geschockt und um damit wirksam umzugehen muss man erstmal verstehen, woher das kommt. Viele dieser Jugendlichen wurden ihr Leben lang gemobbt und haben ihre eigenen Verletzungen externalisiert auf andere, die sie unter sich gesehen haben – eben oft Frauen oder queere Personen.
Das ist etwas, was Männer sehr oft tun: Probleme, die sie haben, zu externalisieren, damit sie diese nicht im Inneren klären müssen– in dem Fall die selbst erfahrene Gewalt an anderen auszulassen. Und da sehe ich eine Parallele zur Führungskraft, bei der im Grunde ähnliche Prozesse passieren: Überlastung und Überforderung werden auch hier auf das Umfeld übertragen. Bloß mit ganz anderen Worten und Konsequenzen, dass sie beispielsweise aktiv Leute entlassen oder bestimmte Themen im Raum nicht zulassen.
Arbeit mit protestierenden Jungen: Empathie-Transfer
Ist es nicht schwierig zu so wenig privilegierten jungen Männern hinzugehen und auch noch ihre Männlichkeit zu kritisieren? Wie erlebst du die Arbeit mit wenig privilegierten Jungs und welche Herangehensweise empfiehlst du?
Ich bezeichne das in Anlehnung an Raewyn Connell als den Unterschied zwischen hegemonialer Männlichkeit und protestierender Männlichkeit. Hegemoniale Männlichkeit ist eine bestimmte Art von Männlichkeit, die sehr privilegiert ist. Männer, die sagen wir in Deutschland norm-schön, blond, dem Bildungsbürgertum angehörig, also sozial und auch finanziell privilegiert sind. Sie müssen nicht so viel tun, um ihre Macht und Dominanz durchzusetzen. Das sind die Männer zu denen sich der ganze Raum umdreht und sie fragt, was denn ihre Meinung ist, wenn eine Entscheidung getroffen wird. Sie haben oft Charme, Eloquenz, kennen die sozialen Codes und sind eben durch ihre Nichtdominanz sehr dominant. Das ist hegemoniale Männlichkeit.
Wir arbeiten mit vielen jungen Männern, die marginalisiert sind, also von Klassismus, Rassismus, Ableismus betroffen sind, die nicht die Codes kennen, und die sehen diese Macht bei anderen Männern, bei ihren Friends oder auch im Fernsehen, bei James Bond, Barney Stinson oder Cristiano Ronaldo und sehen, dass sie das nicht haben. Ihre hypermaskuline Performance ist oftmals ein Ausdruck davon, diese Macht auch haben zu wollen, weil Männlichkeit mit dem Versprechen kommt: du darfst Dominanz ausleben und ausüben. Genau das müssen wir verändern.
Das heißt, diese Performance mit den breiten Uhren, den großen Autos oder den stabilen Muskelkörpern zu haben, das sind alles Ausdrücke des Wunsches, auch Anteil an diesem Versprechen zu haben. Wenn wir das verstehen, hilft uns das, etwas wertschätzender damit umzugehen.
Es gibt ein fantastisches Zitat aus dem Buch „Der Tag, an dem ich sterben sollte“ von Said Etris Hashemi, der den rechts-terroristischen Anschlag in Hanau knapp überlebt und dabei seinen Bruder verloren hat. In dem Buch beschreibt er die Realität protestierender Männer, er nennt das „Migra-Boys“ und ich zitiere mal aus dem Gedächtnis: Von dem Geld, das wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen. Das trifft es auf den Punkt: Leute beeindrucken, die über einem stehen und die man nachahmen will, zu denen man aber nie gehören wird und gleichzeitig nach unten treten und Frauen und queere Menschen das fühlen lassen, was man selbst fühlt.
Ich weiß aus acht Jahren intensiver Arbeit, dass genau mit diesen Zielgruppen es ganz viel zu holen gibt, wenn man mit den richtigen trojanischen Pferden zu Männlichkeit arbeitet. Oft gibt es eine grpße Offenheit, da sie selbst System-Verlierer sind. Und System-Verlierer haben eigentlich keinen wirklichen Grund, in diesen Systemen genau so weiter zu machen, wie sie es tun. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten, diese abzuholen und sie sich auch in ihrer eigenen Männlichkeit und in ihrem eigenen Verhalten zu reflektieren zu lassen und gemeinsam ein neues Verhalten auszuprobieren.
Kannst du uns ein Beispiel für ein trojanisches Pferd geben, mit dem man Männlichkeit reflektieren kann ohne direkt Männlichkeit anzusprechen?
Ich denke da an einen Workshop vor zwei Wochen an einer Schule, wo wir über 80 Prozent Jungs mit Migrationsanteil hatten. Schon im Vorgespräch haben die Lehrer*innen als Grund für den Workshop die problematischen Jungs, also die, „die nicht von hier sind“, angegeben. Die hätten eine andere Kultur und was anderes gelernt, die könnten das auch nicht anders.
Dahinter steckt ein sehr rassistisches Narrativ, dass die in diesem Fall muslimischen Jungs und generell die nicht in Deutschland geboren und groß geworden sind, das Problem sind. Es ist wichtig, diesen Kontext, in dem sich die Jungs befinden, zu sehen. Sie sind in einem Abhängigkeitsverhältnis mit einer Lehrperson, die sie schon von vornherein als Problem wahrnimmt. Unter anderem löst das erst das Verhalten der Jungs aus, welches eigentlich verhindert werden soll. Das ist immer der erste Punkt. Da erst mal anzufangen mit dem Workshop und nicht zu sagen, hey, übrigens heute arbeiten wir zu Sexismus und Kürfeindlichkeit, weil ihr sexistisch und queerfeindlich seid.
Das ist natürlich das Ziel im Hintergrund und gleichzeitig will ich aber die Jungs da abholen, wo sie stehen. Das heißt, sie haben die Möglichkeit, über ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen zu reden. Viele sind betroffen von Klassismus, also sind mit sehr wenig Geld groß geworden, mussten schon sehr früh anfangen zu arbeiten und viele sind eben auch Migra-Boys, die von Rassismus betroffen sind. Im Workshop dürfen sie die Erfahrung machen, was es bedeutet, wenn sie Empathie bekommen für ihre eigenen Geschichten. Sie reden darüber und niemand macht sich lustig. Alle hören zu.
Und dann gilt es, die Brücke zu bauen. Was gibt es denn für Ähnlichkeiten zwischen den Blicken, die ein nicht-weißer Junge auf der Straße abbekommt und den Blicken, die einem Junge mit Kleid zugeworfen werden? Oft merken sie schnell, dass sie viel mehr Ähnlichkeiten mit den Leuten haben, die sie teilweise selbst diskriminieren, als mit den Leuten, denen sie gefallen wollen. Und dann, nachdem sie diese Empathie für sich selbst erfahren haben, ist da ein Raum ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen und wirklich zu bearbeiten und neue Verhaltensweisen zu erlernen. Ich nenne das dann den Empathietransfer: Empathie für sich selbst bekommen, um dann mehr Empathie für andere zu haben.
Arbeit mit privilegierten Männern: Leiser Widerstand, Provokationen und das Leid der Mächtigen
Wie geht es, wenn ihr mit sehr privilegierten Männern, also den klassischen cis-heteroweißen, blonden, mittelständischen Unternehmenslenker oder sowas, wie funktioniert das da?
Da haben wir noch mehr Schwierigkeiten, weil der Widerstand dieser Männer oft sehr subtil ist. Wir nennen das den „leisen Widerstand“, der oftmals bei mehrfach privilegierten Männern auftritt, die wissen, dass sie etwas zu verlieren haben. Wenn da über Themen wie Gleichstellung gesprochen wird erleben wir immer wieder, dass sie nicken, lächeln und warten, bis das Thema vorbei ist und wir merken, dass gar nichts dahinter ist. Eine andere Form ist das Verlassen des Raumes oder das Beenden der Beziehung mit der Person, die immer wieder die Themen anbringt oder Kritik äußert – das kennen viele Frauen aus heterosexuellen Beziehungen aber auch aus dem Beruflichen.
Hast du auch hier ein konkretes Beispiel?
Bei einer großen, weltweiten Organisation wurden wir geholt, weil es von den Frauen in der Organisation Kritik gab über das toxische Betriebsverhalten. Als wir mit unserem Vortrag vor den Männern des Unternehmens starten wollten, merkten wir, dass einer der Abteilungsleiter plakativ auf seinem Laptop tippte. Das war ein Widerstand, um zu zeigen, er hat gar kein Interesse und er arbeitet lieber weil er so ein Arbeitstier ist und weil die Themen ihm egal sind.
Männlichkeit funktioniert sehr viel mit Provokation und da in die Gegenprovokation zu gehen war der Schlüssel. Ich bin sehr höflich zu ihm gegangen und habe ihn strahlend angelächelt und ihm vor allen gesagt: „Boah das ist richtig toll, dass du hier direkt für alle das Protokoll mitschreibst. Das musst du gar nicht machen – ihr bekommt die Präsentation danach. Aber danke, dass du das so ernst nimmst und mitschreibst.“ und ich habe ihm die Hand gereicht. Da hat er richtig angefangen zu lachen, weil er in seinem eigenen lächerlichen Widerstand erkannt wurde, hat den Laptop geschlossen und mitgemacht
Das ist also eine Möglichkeit, mit in die Männlichkeits-Performance reinzugehen – was aber auch nicht allen möglich ist. Ein zweiter Weg, den wir gerade mehr nochmal fokussieren und bearbeiten, ist die Frage, wo es denn bei den überprivilegierten Männern Leiderfahrungen gibt? Wir merken, dass viele dieser überprivilegierten Männer diese Macht-Performance nicht nur ausleben dürfen, sondern auch müssen und dadurch einen riesigen Druck verspüren.
Männliches Privileg ist ein Privileg, aber eben auch eine Überlastung. Viele kennen das. Diese Überlastung bedeutet, sie verlieren die Möglichkeit von Beziehungsfähigkeit. Sie verlieren, dass sie eigentlich Fehler machen dürfen. Sie verlieren die Möglichkeit, sich kritisch hinterfragen zu dürfen. Und das heißt auch, sie verlieren die Möglichkeit, Vulnerabilität zu zeigen. Das ist ein Riesenverlust. Und da wollen wir hinkommen, dass sie da die Möglichkeit haben, das zu sehen und selbst einen Blick hinter ihren Schutzpanzer zu werfen.
Ich danke dir für das Gespräch und die spannenden Einblicke in eure Arbeit, ich freue mich sehr auf deinen Vortrag und Workshop beim Fachtag!
Sehr gerne. Ich habe noch eine ganz wichtige Frage für dich. Hast du jetzt, wenn wir das Interview gleich schließen, denn heute noch was Schönes vor, auf das du dich freust?
Ja, habe ich. Ich hole meinen Sohn aus der Schule ab. Das ist für mich immer ganz besonders, weil ich ihn dabei mit seinen Klassenkameraden*innen und Lehrer*innen sehe und genieße, ihn in seiner Alltagswelt zu erleben.
Danke dir.
Und du? Hast du denn noch was Schönes vor heute?
Ja, heute am späten Nachmittag fahre ich nach Hamburg und da erwartet mich ein Geburtstagsgeschenk, das ich zum 30. bekommen habe – ein Besuch in einer berühmten Jazz-Bar mit vielen Freund*innen. Das ist ein Kindheitstraum, der damit in Erfüllung geht!
Kontakt zum Team der LAGJ*M* BW:
Anmeldung für die Warteliste zum Fachtag ist noch für kurze Zeit unter folgendem Link möglich:
Mehr von Fabi gibt’s in seinem letzten Blog-Beitrag „Andrew Tate? – Bester Mann“ auf der Seite von Detox Identity:
https://www.detox-identity.de/post/andrew-tate-bester-mann
Und auch wir haben ein Projekt zum Thema: Männlichkeiten 2.1. Darin sprechen wir mit Menschen aller Geschlechter über Männlichkeiten und machen daraus Videos für euch. Hier geht’s zu den Videos: